Mit der aktuellen Kampagne vom Schweizer Tierschutz STS wird das Heft «STS – Recherche» verteilt. Auf dessen Titelblatt steht «Tierschutz und nachhaltiger Konsum», darunter viele Label mit ihrem Logo. Es machen aber nicht alle Label mit – wie suggeriert wird – sondern nur Demeter, KAGfreiland und die Kleinbauern-Vereinigung.
Diese drei Label produzieren zusammen kaum ein Promille der gesamten inländischen Fleischproduktion. Und natürlich ist auch der Konsumentenschutz dabei – bei dem ich mich einmal mehr frage, welche Minderheit er jetzt gerade vertritt.
Diese STS-Kampagne ist ein veritabler Schuss in den Ofen:
- Der Tierschutzstandard in der Schweiz ist sehr hoch.
- Der Fleischkonsum ist im Vergleich zu anderen Industrieländern moderat.
- Das Angebot an Label-Produkten ist seit Jahren viel höher als deren Nachfrage.
Der Tierschutz entwickelt sich. Das ist auch gut so. Je nach Gesellschaft und Lebensstandard entwickelt sich auch der Umgang mit den Tieren. Um das zu verdeutlichen, unternehmen wir eine virtuelle Reise von Kontinent zu Kontinent:
In Nordamerika gehören Hormone und Feedlots zur normalen Nutztierhaltung. In Südamerika existiert «Tierschutz» nicht einmal im Wortschatz. In Afrika und Asien müssen Nutztiere Zustände ertragen, die Schweizer Landwirten Albträume bescheren würden: Unerträgliche Hitze, Parasiten, Wasser wie Gülle oder (in China) Schweine in gigantischen Hochhäusern. In Osteuropa können die Landwirte ihre Nutztiere oft armutsbedingt nur unter schlechten Bedingungen halten. In Südeuropa sind Gesetze meist zahnlose Papiertiger. Und im restliche Europa weichen die vielen unterschiedlichen Standards meistens weit von jenen der Schweiz ab – notabene immer nach unten.
Auch bei uns herrschten vor nicht allzu langer Zeit ganz andere Zustände. Es gibt immer noch viele ältere Häuser mit einem Schweinestall unter der Eingangstreppe. Eineinhalb Quadratmeter – Platz für zwei Schweine, ohne Tageslicht, gefüttert hauptsächlich mit Rüstabfällen oder verdorbener Nahrung. Damals war das üblich.
Unsere Landwirtschaft und die Gesellschaft haben sich seither immer weiter entwickelt. Zum Glück, auch für die Nutztiere. Offensichtlich ist aber die Gesellschaft nicht so homogen, wie sie der STS oder die Stiftung Konsumentenschutz gerne hätten. Die Forderungen des Tierschutzes zielen zunehmend weit über die Ansprüche eines grossen Teils der Gesellschaft hinaus. Wieso wird nicht mehr Labelfleisch konsumiert? Nur wegen den überhöhten Margen der Grossverteiler? Ernsthaft?
Der STS ist in vielen Bereichen am Ende der Fahnenstange angelangt. Deswegen wird jetzt wohl ein neues Betätigungsfeld gesucht: Fleischkonsum reduzieren. Beim STS hat das intern Tradition. Gibt es doch bei der jährlichen Nutztiertagung in Olten jeweils nur Vegi-Sandwiches.
Die KonsumentInnen lassen sich aber offensichtlich nicht gerne bevormunden. Das zeigt der erstaunlich stabile Fleischkonsum. Und dies trotz teuren Kampagnen aller Art. Da scheint es wohl am einfachsten, die Produktion zu verteuern. Weil die KonsumentInnen eben doch sehr preissensibel sind, scheint das vielversprechend. Dumm nur, dass zu viele Leute zu nahe am Ausland leben – Tierschutz ade und Wertschöpfung ade.
Was mich aber richtig ärgert: Der STS unterstützt die Massentierhaltungs-Initiative. Diese verlangt – um nur ein Beispiel zu nennen – dass künftig die Pouletmast nach den Bio-Suisse- Richtlinien zu erfolgen hat. Was für eine Nische Sinn macht, ist nicht zwingend für die ganze Branche sinnvoll.
Konkret:
- Es müssten über 20 000 neue Mobilställe gebaut werden.
- Die Mast müsste mindestens 63 Tage dauern.
- Dadurch würden zusätzlich 189'000 t Futter benötigt.
Eine super Ökobilanz. Aber Zielkonflikte werden beim STS ignoriert. Ausbaden können das dann wie üblich die Bauern.
Wahrscheinlich wird es aber gar nie so weit kommen. Das Produkt entspricht weder punkto Qualität noch punkto Preis den Erwartungen der meisten KonsumentInnen. Vielleicht wäre es an der Zeit, die Bio-Suisse-Richtlinien auf ihre Massentauglichkeit zu überprüfen.
Und noch etwas ignoriert der Schweizer Tierschutz STS: Mit diesem sinnlosen Dauerbeschuss werden wir Bauernfamilien psychisch und finanziell bis zum Gehtnichtmehr belastet.
Quelle; Die Grüne, erschienen am Samstag 4. Juni 2022