Im Fokus

Der Jäger als Retter

Philipp Rölli arbeitet bei der Egli-Mühlen AG im Unterhalt und schaut, dass alle Maschinen und Geräte einwandfrei funktionieren. Von Mitte April bis Ende Juni ist der leidenschaftliche Jäger in seiner Freizeit unzählige Stunden mit seiner Partnerin Sabrina Bloch unterwegs. Sie bewahren Rehkitze mit Drohne und Wärmebild­kamera vor dem Mähtod.

02. Nov. 2023

Es ist Morgendämmerung, Mitte Juni, halb fünf Uhr in der Früh, auf einer Anhöhe über Ebersecken LU. Die Nacht verabschiedet sich, die aufgehende Sonne lässt sich hinter dem Horizont erst erahnen. Die Gegend schläft noch. Doch Philipp Rölli und seine Partnerin Sabrina Bloch haben gerade keine Zeit, diesen schönen Augenblick des Tages zu geniessen. Sie sind in einer speziellen Mission unterwegs: Rehkitzrettung. Nicht mit Verblenden (aufhängen von Gegenständen wie Plastiksäcke, Folien oder Blinklampen auf dem Feld), wie dies herkömmlich praktiziert wurde, sondern mit neuster Technik. Seit 2020 setzen die beiden eine Drohne mit Wärmebildkamera ein, um Rehkitze im hohen Gras aufzuspüren und so vor dem Mähtod zu retten. Von Mitte April bis Ende Juni sind die beiden unterwegs und suchen in Wiesen nach jungen Rehkitzen. Philipp Rölli ist leidenschaftlicher Jäger und Revierpächter in Ebersecken. Der gelernte Landmaschinenmechaniker arbeitet bei der Egli-Mühlen AG im Unterhalt und ist dafür verantwortlich, dass alle Maschinen gewartet sind und einwandfrei funktionieren. Sabrina ist ausgebildete Physiotherapeutin und Landwirtin EFZ.


Modernste Technik kommt zum Einsatz


Rehkitzrettung ist kein Job für Morgenmuffel. «Treffen wir uns um 4 Uhr bei der Käserei in Ebersecken», teilt Philipp Rölli dem Egli-Fokus-Schreiber per Whatsapp mit. Der frühe Start hat seinen Grund: Der Boden und das Gras sind noch kühl, die im hohen Gras liegenden Rehkitze zeichnen sich dank ihrer Körperwärme deutlich bei den Aufnahmen der Wärmebildkamera ab. Beim ersten Halt bereiten Philipp und Sabrina die Gerätschaften vor. «Von hier aus können wir die ersten drei Flächen überfliegen und absuchen», erklärt Philipp, während er die Drohne flugbereit macht und die an der Unterseite der Drohne montierte Wärmebildkamera einschaltet. Sabrina startet unterdessen den Bildschirm, auf den die Aufnahmen der Wärmebildkamera übertragen werden. Ziemlich viel Material schleppen die beiden jeweils mit: die Drohne mit der Wärmebildkamera, zusammen mit neun Wechselakkus sowie Power-Stationen zum Aufladen der leeren Akkus. Dazu Obstharassen zum Abdecken der gefundenen Rehkitze und Eisenpfähle zum Fixieren der Harassen. Rehkitze dürfen unter keinen Umständen angefasst werden. Sie könnten den menschlichen Geruch annehmen und dadurch von der Rehgeiss verstossen werden. Ein Todesurteil für das Kitz! Daher das Abdecken mit einer Harasse bis das Feld gemäht ist.

Ist alles einsatzbereit, startet Philipp die Drohne, das leise Surren der kleinen Propeller ist in der Stille deutlich zu hören. Ist die Drohne in der Luft, aktiviert der Pilot die Autopilot-Funktion und die Drohne fliegt selbstständig den vorgegebenen Flugbahnen nach. Diese hat Philipp am Vorabend auf dem Computer erfasst. Die Flugbahnen werden via einer speziellen App aufs Smartphone übertragen und stehen so im Feldeinsatz zur Verfügung.

Bilder Web 1080x1920 Bild72
 

Konzentration und Erfahrung

Während Philipp die Drohne überwacht, betrachtet Sabrina konzentriert den Bildschirm. Für das ungeübte Auge sind auf dem Bild nur kleinere und grössere Farbkleckse sichtbar. Die Wärmebildkamera der Drohne erfasst die Wärmeabstrahlung des Geländes und der Tiere. Auf dem Bildschirm des Drohnenpiloten erscheinen sie als rote Flecken. Doch nicht jeder rote Fleck ist ein Rehkitz. Es kann auch ein frischer Mäusehaufen, eine Katze oder ein anderes Tier sein. Aber Sabrina ist geübt und kann die Nuancen sehr gut unterscheiden. «Stopp», ruft sie. Philipp drückt auf einen Knopf der Drohnenbedienung, die Drohne bleibt surrend in der Luft stehen. Langsam verringert Philipp nun die Flughöhe, bis das Rehkitz auf dem Bild deutlich zu erkennen ist: ein roter, bohnenförmiger Punkt. Zu Fuss begibt sich Philipp nun im Feld zum gefundenen Kitz, dirigiert von Sabrina. «Etwas mehr links, langsam, da muss es ganz in der Nähe sein», ruft sie. Vorsichtig, Schritt für Schritt folgt Philipp den Anweisungen. Hoppla, da liegt das kleine Kitz. Gut getarnt liegt es im Gras, fast wäre der Jäger, heute als Retter unterwegs, darüber gestolpert. «Das ist erst wenige Tage alt, so klein, wie es ist», stellt Philipp fest. Mit einer Holzharasse wird das Rehkitz abgedeckt und die Harasse mit Pfahl und Signalband markiert. Ein weiteres Kitz ist damit gerettet. Noch an zwei weiteren Standorten im Revier sind heute Morgen Felder zu kontrollieren. Die Landwirte informieren Philipp, wenn sie ein Feld mähen wollen. Alles weitere organisiert Philipp.


Gratisdienstleistung für die Landwirte


70 Rehkitze haben sie heuer bereits gefunden und konnten sie so vor dem Mähtod retten. «Ohne die doppelt geretteten Tiere», präzisiert Philipp. Denn es kann vorkommen, dass ein gerettetes Rehkitz ein, zwei Tage später im Nachbarfeld wieder aufgefunden wird. Der Einsatz für die Rehkitzrettung ist vollständig ehrenamtlich. Auch das Material berappen die beiden aus der eignen Tasche. Kein Pappenstiel, erklären Sabrina und Philipp. Mehr als 5000 Franken haben sie für die gesamte Ausrüstung investiert. Für die Landwirte ist die Dienstleistung kostenlos. «Obwohl», gibt Philipp zu bedenken, «die Rehkitzrettung liegt eigentlich in der Verantwortung des Landwirtes». Und wie viele Stunden sind sie unterwegs? «Ui», Sabrina überlegt, «genau können wir das nicht sagen. Es sind viele». Sie lacht. «Wichtig ist uns jedoch der Erfolg», ergänzt Philipp und Sabrina nickt.

Diesen Beitrag teilen: