Die Nutztierhaltung durchlief eine enorme Entwicklung. Die Industrialisierung und Urbanisierung verlangten nach immer mehr und immer billigeren tierischen Produkten. Durch Spezialisierung, grössere Betriebe, Mechanisierung und Zuchtfortschritt wurde die Effizienz gesteigert. Der Wandel von der teuren Mangelware zum erschwinglichen Grundnahrungsmittel ist eine ökonomische Erfolgsgeschichte. Der Wohlstand nahm stetig zu, und Konsumenten müssen heute deutlich weniger ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben. Die Gesellschaft stieg eine Stufe auf der bekannten «Maslow-Bedürfnispyramide». Diese beschreibt die menschlichen Bedürfnisse und Motivationen und erkennt, dass manche Bedürfnisse wichtiger sind als andere. So müssen zuerst die menschlichen Grundbedürfnisse (Luft, Wasser, Nahrung, Schlaf) und danach die Sicherheitsbedürfnisse befriedigt sein. Erst auf der dritten Stufe folgen soziale Bedürfnisse und damit auch das Bewusstsein für unseren Umgang mit Nutztieren. Mit zunehmendem Wohlstand wächst somit das Bewusstsein um deren Wohlbefinden. Dies rief den Tierschutz ins Leben, und die Nutztierhaltung entwickelte sich in Richtung mehr Tierwohl. Was in den 1980er-Jahren begann, kann wiederum als Erfolgsgeschichte bezeichnet werden. Dem Tierwohl wird heute mehr Bedeutung beigemessen, und die Schweizer Tierhalter stehen im weltweiten Vergleich an der Spitze. Keine Generation vor uns konnte sich derart hochwertige tierische Lebensmittel, auf ebenso hohem Tierwohlstandard, zu so erschwinglichen Preisen leisten.
«Mit zunehmendem Wohlstand wächst auch das Bewusstsein um das Wohlbefinden unserer Nutztiere.»
Wohin des Weges?
Es ist davon auszugehen, dass unser Wohlstand weiter zunimmt. Die gesellschaftliche Entwicklung folgt damit der Maslowschen Bedürfnishierarchie in Richtung «Individualbedürfnisse» und «Selbstverwirklichung», welche die Spitze der Pyramide bilden. Damit verlagert sich der Fokus von Menge und Preis hin zu Qualität und Ethik. Konsumenten wollen mit gutem Gewissen geniessen können. Damit tierische Erzeugnisse weiter auf dem Ernährungsplan bleiben, müssen die tierethischen Ansprüche der Gesellschaft in der Tierhaltung Beachtung finden. Dieser Entwicklungsprozess muss in Absprache zwischen Konsumenten, Tierhalter und Politik unter Einbezug der Wissenschaft stattfinden.
«Letztendlich bekommt der Konsument genau das, was er gewillt ist zu bezahlen, unabhängig von dem, was er sich in seinem Ideal wünscht.»
Gesellschaftlich tragfähige Nutztierhaltung bringt Umwelt-, Tier- und Konsumentenschutz wie auch die Wirtschaftlichkeit in Einklang. Dabei gibt es Synergien, aber auch Zielkonflikte. Der Umgang mit den Zielkonflikten und das Finden eines von allen Beteiligten akzeptablen Kompromisses sind die grossen Herausforderungen. Die Kunst ist, den Konsens zwischen Tierhalter und Konsument zu finden. Nur wenn wir diesen Konsens erreichen, entwickelt sich die Tierethik weiter. Letztendlich bekommt der Konsument genau das, was er gewillt ist zu bezahlen, unabhängig von dem, was er sich in seinem Ideal wünscht.
Dieser Konsens unterliegt aber auch einer stetigen Weiterentwicklung. Neue gesellschaftliche Ansprüche und wissenschaftliche Erkenntnisse oder veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen müssen laufend berücksichtigt und miteinbezogen werden. In der Schweiz ist dieser Entwicklungsprozess weit fortgeschritten und steht im internationalen Vergleich ganz vorne.
Die Rolle der Nutztierhalter
Stillstand bedeutet Rückschritt, und die Richtung unserer Konsumenten ist eindeutig hin zu mehr Tierwohl, mehr Umweltschutz, Ökologie und Nachhaltigkeit. Konsumenten wünschen sich erschwingliche Produkte, deren Erzeugung möglichst ihren Ansprüchen gerecht wird. Nur wer es schafft, Ethikansprüche und Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen, wird auf dem Markt Bestand haben. Weder Verweigerung noch Wunschdenken bringt die Nutztierhaltung voran. Vielmehr verlangt eine sich wandelnde wie auch kaufkräftige Gesellschaft stetige Optimierung und verbesserte Produktionsbedingungen.
Inspiriert durch Beiträge zur Ethik in der Nutztierhaltung von Dr. T. Blaha, Tierärztliche Hochschule Hannover