Egli Welt

Tierhaltung zwischen Staat und Markt

Ein Gastkommentar von Martin Rufer, Direktor des Schweizerischen Bauernverbands

06. Mai 2022

In der Politik geht es meistens um die Frage, wie stark der Staat regulierend einwirken soll. Vor allem dort, wo negative gemeinwirtschaftliche Effekte und damit externe Kosten entstehen, finden staatliche Vorgaben breite Akzeptanz: Staatliche Vorgaben sollen sicherstellen, dass einzelne Unternehmen etwa mehr zum Schutz der Umwelt tun, als sie das aus eigenen Stücken tun würden. Bei der Massentierhaltungsinitiative, die voraussichtlich im Herbst zur Abstimmung kommt, lässt sich über die richtige Balance zwischen Markt und Staat vortrefflich diskutieren. Die Initianten verlangen, dass alle in der Schweiz konsumierten tierischen Produkte aus einer Tierhaltung stammen, die mindestens den Bio-Richtlinien entsprechen. Die Auflage beträfe demnach nicht nur die einheimische Landwirtschaft, sondern auch sämtliche importierten, tierischen Lebensmittel. Braucht es solche einschneidenden staatlichen Vorgaben? Wir sagen Nein, aus zwei Hauptgründen.

Erstens ist das Tierwohl-Niveau in der Schweiz schon jetzt so hoch wie nirgendwo sonst auf der Welt. Dafür sorgen ein weltweit einzigartig strenges Tierschutzgesetz, eine gesetzlich limitierte Zahl von Tieren pro Betrieb bei Hühnern, Schweinen und Kälbern, breit genutzte freiwillige Programme für besonders tierfreundliche Ställe und regelmässiger Auslauf im Freien sowie ein funktionierendes Kontrollsystem. Von Massentierhaltung mit einer «systematischen Verletzung des Tierwohls» kann keine Rede sein. Dazu kommen zahlreiche weitergehende Label-Angebote. Damit sind wir beim zweiten Hauptgrund: Der verlangte Tierwohl-Standard existiert bereits, und das Angebot ist heute schon grösser als die Nachfrage. Beim Fleisch generell stagniert der Label-Anteil seit Jahren. Beim Schweinefleisch ist die Label-Produktion heute doppelt so hoch wie die effektive Nachfrage seitens der Konsumentinnen und Konsumenten. Das heisst, dass grosse Mengen im konventionellen Kanal landen ohne – oder nur mit marginalem – Mehrwert für die Bauernfamilien. Offenbar ist die grosse Mehrheit der Konsumierenden mit der bereits sehr vorbildlichen Standard-Produktion zufrieden. «Noch mehr Tierwohl» sollte kein gemeinwirtschaftliches Gut sein, sondern ein persönliches Anliegen, das man mit dem entsprechenden Einkaufsverhalten fördert. Die Initiative zielt weit an der Realität vorbei. Das trifft auch auf die Importauflage zu. Es ist nicht anzunehmen, dass die Schweiz diese umsetzen wird. Denn damit käme sie in den Clinch mit ihren Verpflichtungen bei der WTO und in Freihandelsverträgen. Es kam ja nicht von ungefähr, dass der Bundesrat in seinem Gegenvorschlag davon nichts wissen wollte.

Die Schweizer Bauernfamilien stehen beim Tierwohl nicht auf der Bremse. Sie sind auch bereit, hier noch mehr zu investieren. Sie erwarten aber, dass es nicht beim Lippenbekenntnis bleibt, sondern dass die Mehrkosten auch durch den Kauf von entsprechenden Produkten entschädigt werden. Wenn der Bio-Zwang in der Tierhaltung nur im Inland umgesetzt wird, dann wäre dies ein gewaltiger Wettbewerbsnachteil für die einheimische Landwirtschaft. Sie könnte preislich noch weniger mit den Importen mithalten und würde in einen Nischenmarkt verdrängt. Wenn auch importierte tierische Lebensmittel aus biotauglichen Haltungen kommen müssen, dann ist mit einer enormen Zunahme des Einkaufstourismus zu rechen. Denn in beiden Fällen würde sich die Nachfrage und die Kaufbereitschaft bei steigenden Preisen nicht automatisch ändern. Mehr Einkaufstourismus schadet der einheimischen Wirtschaft und dient auch dem Tierwohl nicht. Selten war eine Initiative so unnötig.

Gastkommentar von Martin Rufer, Direktor des Schweizerischen Bauernverbandes (SBV). Publiziert am 04. Mai 2022 in der NZZ.

Diesen Beitrag teilen: